Das ewige Leben der leblosen Dinge
Gedankenskizzen zu meiner Arbeit
Woher wohl die Sehnsucht nach Stille und unkomplizierten leblosen Dingen kommen mag? Diese auf die Tafel zu erheben, zu arrangieren und zu zelebrieren und schließlich festzuhalten?
Da ist einerseits das Gleichnishafte zum eigenen Dasein, zum Werden und Vergehen, die Widerspiegelung des kreativen Vermögens: zu säen, zu pflegen, zu ernten, zu produzieren, zu beherrschen und sich an dem eigen Tun und der Schönheit der Dinge zu erfreuen, sie zu genießen. Andererseits: die Gier nach Zeit, den reinen Augenblick besitzen wollen, die Sehnsucht nach Ruhe, Schutz und Geborgenheit – letztlich die Sehnsucht nach dem Paradies.
Trotz meiner thematischen Blickwendung, zunächst einmal weg von den Gestalten und Texten der Bibel, die in den letzten beiden Jahren den Grundtenor meines Schaffens bestimmten und mich nicht selten innerlich aufgewühlt und in Spannung versetzt haben, bleibe ich meiner Herangehensweise im Umgang mit der Zitation und dem Zugriff zur Tradition treu. Beinahe jeder weiß, daß diese den großen holländischen Stillebenmalern des 17. Jahrhunderts vorbehalten ist. Sie haben symbolisch alles gesagt. Der Formen- und Artenreichtum der von ihnen malerisch dargestellten Dingwelt ist unerschöpflich vielfältig und beeindruckend.
Jedes Fund-Stück in den Werken der alten Meister wirbt beim Betrachten um unsere Aufmerksamkeit.
Gerne hätte ich auch für mich die gesamte Palette in Anspruch genommen, aber mein Leben in der „Uhr-Zeit“ fordert zur Beschränkung auf.
So konzentriere ich mich auf die Erdfrüchte, Nüsse, Fische und das Brot, die Sprungdeckeluhr meines Großvaters, Gefäße und Tücher, setze sie eigenwillig in Beziehung zueinander und erzähle ihre und meine Geschichte darin neu.
Aufgewachsen im Wirtshaus, das im Zentrum des Dorfes gegenüber der Kirche steht, bin ich rechtzeitig mit den irdischen leiblichen Genüssen, manchmal sogar in überschwenglichem Maße und mit regelmäßigen kleinen oder großen Tafelrunden vertraut gemacht worden.
Eine lange unbeschwerte Kindheit zwischen Feldarbeit, Gemüsegarten, stets gefüllter Speisekammer, Bierkeller und Wirtschaftsküche. Die Mutter, eine hervorragende Köchin, die mich und meine Gäste heute noch mit deftigen Suppen verwöhnt und nährt.
Beim damals täglichen, heute nur noch gelegentlichen, dafür aber bewussten Blick in die Speisekammer nehme ich Früchte und andere Nahrung mit ihren kraftvollen Farben oder interessanten Strukturen wahr.
Der Wirsing, der wie ein krauses königliches Haupt auf dem alten Steintopf liegt, die Zwiebeln zu Füßen, der Lauch und die Möhren, die dicken satten Kürbisse, die eher dem Auge ein Schmaus sind, und unser tägliches Krustenbrot.
Der Hummer krönt als exotische Meeresfrucht das Festessen einer Familienfeier.
Regelmäßige Sonntagsspaziergänge führen mich in meiner Heimat entlang am Saaleufers zur Fischzuchtanlage. Dort beobachte ich die Forellen und erwerbe sie manchmal für ein köstliches Mahl.
Die akzidentielle Betrachtung verlassend, frage ich nach dem Woher der Früchte, nach dem Urheber. Wie sind sie entstanden, wem gehören sie und wer darf sie verbrauchen?
Meine Gedanken kreisen unumgänglich bei diesen Fragen um den Schöpfer und seine Schöpfung. Früchte des Gartens aus Seiner Welt kommend, dem Menschen zur Nutzung und Bewahrung gegeben, Bestandteil des ewigen Kreislaufes.
Wenn der Ackerbauer und Gärtner noch um die Natur der Dinge wusste, dann ist das uns heutigen Verbrauchermenschen fast völlig verlorengegangen. Nur wenige – der moderne Stadtmensch schon gar nicht – können noch Auskunft über Anbau und Pflege von Gartenfrüchten oder die Herstellung von Brotsauerteig geben.
Ein Blick in die Ernährungsbetriebe, ob Bäckerei, Molkerei oder Konservenfabrik, bestätigt diese Entfremdung vom Gegenstand.
Kaum ein Tropfen Milch oder ein Gramm Mehl sind noch sichtbar, da sich alle Prozesse hinter riesigen Rohren oder in Reaktoren abspielen.
Der Weg des Produktes bis hin zum Verbrauch hat sich uns fast völlig entzogen, ist uns nicht mehr bekannt.
Mit dieser „Lücke“ der Erfahrung stehe ich nun den Dingen gegenüber und versuche neu zu begreifen und sichtbar zu machen.
Ich nehme die Naturprodukte, ordne sie traditionell und nach vertrauter Art, komponiere, richte an, zur Andacht auf dem Tisch wie auf einem Altar. Die Herstellungs-, Aufzucht- oder Fertigungsprozesse bleiben außen vor. In Außenräumen hätten diese Arrangements keinen passenden Ort. Alles konzentriert sich auf den Innenraum, die innere Ruhe, und fordert die Mitte heraus. Ästhetische Phänomene drängen sich auf. Eine Umwertung beginnt. Die Blick- und Denkrichtung wechselt – Landschaften, Flüsse, Wege, Gebirge entfalten sich. Starke Strukturen dominieren. Der Wirsing wird zur „ Landkarte von Wegen“, das Brot zur „Gebirgsregion“, die Nüsse zu „Nervengeflechten“, das Tuch fließt wie ein Wasserfall dem Betrachter entgegen und die Hüllen der Wassertiere werden zu reizenden Mustern.
Das tiefe Empfinden für diese Strukturen, potenziert durch die dichten Geflechte, die die Schnittlinien hervorbringen, lässt mich die Tektonik der Geschöpfe mehr und mehr begreifen.
Im einfachen Gegenstand das Grundprinzip der ganzen Kreation zu spüren, verstanden durch die Absolutheit der grafischen Schnittlinie ist für mich wie eine Geschenk der Erkenntnis.
Wenn die Linie das erkennende Moment herausfordert, dann übernimmt die Farbe den melodischen Part und die Kommunikation zum Betrachter, so dass er den „Schnittlinien-Faden“ beruhigt aufnehmen kann.
Die Gegenstandsfarbe betont die Bedeutung der Dinge und drängt zu einem Klang-Bild-Raum, der nicht immer harmonisch ist.
Die Töne des Brauns, Gelbs und Oranges beschreiben die Früchte des warmen, sonnigen und erdigen Herbstes. Das Blau, Grau und Weiß bedeuten eine kühle und lichte Welt.
Dank dieser Farbmelodie und ihrer Akkorde konnte ich mit meinen Bildern durch ein halbes Kalenderjahr gehen.
Zurück in meiner Zeit beginne ich diese Muster und Strukturen zu lieben und mit den Formen zu spielen. Ich setze sie in zahlreichen Kombinationen in Beziehung zueinander und warte darauf, wie sie miteinander und aufeinander reagieren, was sie sich zu sagen haben. Die Lust am Spiel läßt mich die Dinge feiern und erheben. Ich setze dekorative Tischdecken,
schmuckvolle Tapeten, schöne Rahmen, Bilder, verzierte romanische Säulen meiner geliebten französischen Kathedralen (Autun), schwungvolle Tücher und edle Gläser hinzu, vernetze Profanes mit Sakralem.
Die große symbolische Kraft schwingt durch das Erinnern mit.
Schöne einfache Dinge wollte ich darstellen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Christina Simon
Christina Simon
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