JONA

 

Weshalb ausgerechnet Jona, ein Prophet, der so oft wie kein anderer in der Literatur und Kunst beleuchtet und interpretiert wurde? Zum einen fand ich die Geschichte um Jona von einer solchen bildhaften Fülle und dichten dramatischen Handlung gezeichnet, dass sie mir geradezu beispielhaft für den  Zugang zu den alten Propheten erschien. Zum anderen ist mir die Figur des Jona mit seinem inneren Spagat zwischen Verweigerung und Gehorsam sehr sympathisch und vertraut. Für seine Leidenschaft kann man ihn lieben.

 

Meine Arbeit basiert auf religionsphilosophischen und psychologischen Fragen, und versteht sich nicht als illustrativ. In Auseinandersetzung mit dem Text und den starken plastischen Hauptszenen, der Seesturmszene, der Niniveszene und der Rizinusszene, hat sich für mich die Gestalt des Jona als Grenzgänger, vor allem in den Nahtstellen zwischen den Szenen in den jeweiligen Gebeten als signifikant herauskristallisiert.   

Beide Gebetsteile markieren Übergänge und sind Grenzstellen. Es entsteht Leerlauf. Zeit wird freigesetzt bzw. existentiell bewusst wahrnehmbar und Raum in einer gewaltigeren Dimension erlebbar.

Jona ist eliminiert und isoliert, er wird von den Wogen des Meeres und vom Rizinus umhüllt, eingeschlossen und zugedeckt. Sich bis in die letzten Winkel verkriechend, Schutz suchend, sich der Welt entziehend aber gleichzeitig auch von dieser isoliert. Dem um ihn  entstandenen Raum folgt die Zeit.  

Dieser Zustand des gedehnten Augenblicks und des scheinbaren Schutzes erfordert eine Antwort, ein Gespräch.

 

Was bleibt einem Menschen, der ab- bzw. ausgegrenzt in einer anderen Sphäre schwebt und die Verbindung nicht abreißen lassen kann und darf, anderes übrig, als mit Gott ins Gespräch zu kommen? Wo soll er sich Kraft holen, wenn er seine Richtung und seinen Plan nicht kennt? Er muss eine Brücke in Form des Gebetes zu Gott bauen, wenn er nicht in dieser Ungeheuerlichkeit der Leere und der Tiefe oder im Umtrieb verenden will.

 

Die Gebetsteile, Dank und Klage, sind wie zwei Knoten, die die Kommunikation zwischen Mensch und Gott versinnbildlichen.

 

Ausgehend von diesen Gedanken zitiere ich die Figur des Jona nach dem Typus eines Klagenden, den ich einer norditalienischen Miniaturmalerei des 13. Jh. entnommen habe. Der Typus ist durch seine Haltung in sich geschlossen und zusammengeschnürt, verschlungen im doppelten Sinne. In verschiedenen Größen, die eine unterschiedlich kraftvolle Erscheinung des Propheten zum Ausdruck bringen, habe ich die Figur zu den jeweiligen stark strukturierten Räumen (Meer, Ninive als moderne Stadt, Rizinus) mehr oder weniger spannend ins Verhältnis gesetzt.

 

Da mir die Technik des Druckes die Vervielfältigung erlaubt, sind zu jeder Gebetsszene jeweils fünf bis sechs Arbeiten entstanden. Die Variabilität und die Möglichkeit des Collagierens mit den Fragmenten der Druckstöcke ergeben für jede Arbeit eine eigene Aussage. Von daher erfährt die Szene des Gebetes eine Folge unterschiedlicher Momente, die sich in verschiedenen Bewegungen des Beters und Beziehungen zum unmittelbaren Umfeld ausdrücken. Diese Folge unterschiedlicher Ereignisse auf einer Ebene lehnt sich an das Prinzip des Daumenkinos oder heutigen Comics an. So verrenkt sich Jona im Leib des Fisches, kriecht verzweifelt und beleidigt vor den Toren der Stadt umher und jammert naiv klagend und zornig unter dem Rizinus.

 

Wenn Jona punktuell auf sich selbst zurückgeworfen ist, wie ein dicker Knoten im jeweiligen Gebet vereinzelt und bilddominant dargestellt wurde, und die ganze menschliche Tragweite in dieser Grenzsituation zeigen soll, so ist die Entscheidung für das dritte und damit ein weiteres Gestaltungsmotiv ganz anderer Art.

Hier konzentriere ich mich auf die Stadt und die wehmütigen und klagenden Menschen.  Die Facetten der Darstellungen dessen, was sich in Ninive zuträgt, sind breiter angelegt, als die  konzentrischen Gebetsszenen. Die Einsicht zur Umkehr wird allmählich unter den Menschen bekannt gemacht.  Die „Umkehrbotschaft“ entfaltet sich zuerst im Einzelnen und dann in kleinen Gruppen vor den Toren der Stadt. Hier wirken die Menschen wie Türmchen, die zur Klage-Mauer werden und zur Stadt verschmelzen. Die Kleingruppen werden linear verbunden, aufgefädelt und ballen sich schließlich zusammen um selbst zu einer Stadt zu werden, die wie der Turm zu Babel zu wachsen beginnt und eine eigene Kraft und Macht entwickelt.

 

Das stark verdichtete Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen, die als Trauergefolge in Gruppen und Doppelreihen verschiedene Richtungen ergreifen, bildet das verbindende Motiv zwischen den „Gebets-Grenz-Pfeilern“.

Auch zu diesem Bildmotiv entnehme ich gemäß meiner momentanen Vorgehensweise ein Zitat vom Ende des 13.Jhs.: das klagende Trauervolk einer  Sarkophaggestaltung  aus Barcelona.

 

Die Farbgebung bzw. Farbdominanz der jeweils von mir ausgewählten und gestalteten Szenen der Jonageschichte ist stark mit der Situation verbunden. So ist die erste Szene (Jona im Fisch) vom reinen diabolischen Rot bestimmt und spielt auf die Tiefe der Materie an. Die zweite Szene (Ninive kehrt um) wird zum einen vom Braun der Backsteine und vom Grau des Betons beherrscht. Das lichte Gelb und hoffnungsvolle helle Blau dringen immer wieder durch als Zeichen des Lichtes und der Hoffnung für „gefallene“ Menschen, die sich umkehren lassen. Letztlich bildet die dritte Grundfarbe, das Blau, den bestimmenden Farbton der dritten Szene  (Jona klagt unterm Rizinus). Das Blau für die Weite des Himmels und für das Visionäre.

 

Christina Simon