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IKONEN

Pracht-und-Ordnung,-2010

Vom Abbild zum Urbild – Aus der Finsternis zum Licht

Gedankenskizzen zu meiner Arbeit am Ikonen-Zyklus

 

Im Kloster Metamorphosis

In den Jahren 2008 und 2009 hatte ich das Glück an einem kunstgeschichtlich-theologischen Seminar im Kloster Metamorphosis in Nafpaktos teilnehmen zu können. Dort kam ich erstmals näher mit den Glaubenspraktiken und Ritualen der orthodoxen Welt in Berührung. Einer Glaubenswelt, die uns abendländisch und kritisch-dialektisch geprägten Christen fremd erscheint und in die sich nur schwer eindringen lässt. Vom spirituellen Gesang der Mönche, der ausgeprägten Liturgie des Gottesdienstes mit ihrem meditativen Zauber und den Kirchenräumen, die durch ein geschlossenes Bildprogramm der Ikonen bestechen, kann man sich in sakrale Gefilde tragen lassen. Staunend aber bleiben wir zurück, wenn der orthodoxe Gläubige die Ikone küsst. Hier sind wir ganz dem Okzident verpflichtet und bleiben außerhalb eines großen Seelenraumes, der unsere Phantasie und Einbildungskraft übersteigt.

Als Künstlerin weiß ich wohl, dass ich die Annäherung an ein Thema oder die Auseinandersetzung mit einer existentiellen Frage nicht dem formalen Rahmen überlassen kann. Dann würde ich mich vielleicht auf eine theologische oder kunsthistorische Betrachtungsweise einlassen und hermeneutisch oder analytisch arbeiten. Das kann sehr spannend sein, ist aber nicht Auftrag des Künstlers!

Von den Ikonen ergriffen und motiviert, eine eigene künstlerische Antwort zu finden, muss ich mich fragen, ob es überhaupt zulässig ist, solch ein Thema neu zu bearbeiten, ohne die Grammatik oder den orthodoxen Gläubigen i zu verletzen. Kann und darf man überhaupt etwas Unveränderliches, nicht von Menschenhand Geschaffenes eigenmächtig verändern?      

 

Die Hermenien

Die Gestaltung der Heiligen ist in der Ikonenmalerei streng in den Hermenien (Malerhandbüchern) festgelegt. Die Auswahl der biblischen Szenen ebenfalls. Die Koordinaten sind fixiert. Das erinnert mich ein wenig an die Leibnizsche Monadenlehre. Hier trägt das Subjekt ebenfalls alle rationes in sich, ist in seinem Kern präsubstantiell angelegt und muss sich nun vermöge der eigenen Kraft selbst entfalten. Das fasziniert mich von meiner Vorliebe für abstraktes Denken einerseits, erschaudert mich vom menschlichen Fühlen her aber zugleich! Mit dieser inneren Zerrissenheit und empirischen Befremdlichkeit habe ich mich trotzdem diesem Thema genähert, in der Hoffnung, selbst wenn ich nur einen Zipfel erfasse – pars pro toto – auch immer etwas vom Ganzen ahnen kann.       

Vom Abbild zum Urbild – entgegen der Priorität des Schöpfers und der Ideenlehre Platons – nenne ich diesen Ikonen-Zyklus. Das verweist auf eine Richtung, die die einzig mögliche für den künstlerischen Schaffensprozess ist (Georg Steiner prägte in dem Zusammenhang einmal das Wort „Gegen-Schöpfung“). Als Künstlerin finde ich eine Welt der Abbilder (göttlichen Würfe) vor, denen ich mich stellen muss, die ich betrachte, aufhebe, sammle, mit denen ich in Dialog trete, die ich zerstöre, zerlege, erforsche, liebe und letztlich festhalten will. Gott als Künstler – der Künstler auf dem Weg zu Gott!

 

Diese Richtung soll nicht zuletzt in meine eigene Biografie hineingreifen, um den Weg zu mir selbst zu finden. Bei sich selbst beginnen, im Dunkeln bei den Wurzel, in den Seelentiefen, im Irdischen, bei den eigenen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Fähigkeiten – nicht bei sich stehen bleiben, wachsen,  sich auf den Weg machen, diese Erfahrungen ins Licht setzen, dem Urbild entgegen.

 

 

Herkunft

Aufgewachsen bin ich in einem vom protestantischen Glauben geprägten Elternhaus, einem Wirtshaus, inmitten einer antireligiösen Gesellschaft, nämlich der Diktatur in der DDR. Die sozialistische Schule im Schloss Goseck, einst Benediktinerabtei, deren jahrhundertealten Mauern vom Geist und von den Gebeten der Mönche getränkt waren. Derartige, früh angelegte Paradoxien sollten mein weiteres Leben prägen und nicht zuletzt eine innere Spannung erzeugen, die sich im Künstlerischen entfaltet hat. Einerseits die protestantische Nüchternheit, die Prägung durch das Rationale, die Gabe abstrakt und mathematisch zu Denken, das Studium der Mathematik – andererseits die Sehnsucht nach Gestaltung, die Frömmigkeit – die mir meine Mutter vererbt hat – und das „unsichtbare“ Festhalten an Gott , die Leidenschaft zur Kunst, Philosophie und Religion.

 

Als Ende der Achtziger Jahre allmählich die Schriften Pawel Florenskis (1882-1937) ins Deutsche übersetzt wurden, und ich dank der Wiedervereinigung auch bald Zugriff zu dessen Texten hatte, war ich geistig überwältigt, in ihm einen modernen Denker gefunden zu haben, der Abstraktion und Irrationales zu verbinden wusste. Bei Florenskij fand ich in einer Zeit der Neuorientierung und Entwurzelung, infolge des Zusammenbruchs der DDR, in der meine sozialen Wurzeln lagen, eine geistige Heimat. Wenn auch das harte Schicksal eines Pavel Florenskijs, wie das eines Ossip Mandelstamm oder einer Anna Achmatova, um nur einige zu nennen, die vom Stalinismus gebrochen wurden und trotzdem an Gott festhielten, nicht unmittelbar mit den Repressalien in der DDR zu vergleichen sind, so bleibt doch eine tiefe seelische Berührung und eine Ahnung davon, was es für einen Künstler und frei denkenden Geist bedeutet unter Zwang leben und arbeiten zu müssen und ausgegrenzt zu werden.

In Pavel Florenskijs „Die Ikonostase – Urbild und Grenzerlebnis im revolutionären Russland“ fand ich bewegende Gedanken zur Ikonenmalerei. Eine seiner Thesen traf mich schwer, als Linolschneiderin und meine Herkunft betreffend. Die Annäherung an die Ikonen blieb für mich ein offenes Thema, das ich 2012 dann endlich bearbeitet habe.

 

„Die echte Gravürelinie ist eine abstrakte Linie, sie hat weder Ausdehnung noch Farbe. Im Gegensatz zur Ölmalerei, die versucht, sich zum sinnlichen Doppelgänger, wenn nicht des dargestellten Gegenstandes, so wenigstens eines Stückchens seiner Oberfläche zu machen, will sich die Gravürelinie vom Beigeschmack sinnlichen Gegebenseins völlig frei machen. Wenn die Ölmalerei eine Manifestation der Sinnlichkeit ist, so  stützt sich die Gravüre auf Rationalität, weil sie das Bild der Gegenstände aus Elementen konstruiert, die mit  den Elementen des Gegenstandes nichts gemeinsam haben, aus Kombinationen rationaler >JA< und >NEIN<. Die Gravüre ist das Schema eines Bildes, das ausschließlich auf den Gesetzen der Logik basiert: der Identität, des Widerspruchs, des Ausschlusses eines Dritten – und in diesem Sinne ist sie mit der deutschen Philosophie zutiefst verknüpft: Dort wie hier besteht die Aufgabe darin, ein Schema der Wirklichkeit allein mithilfe von Positionen und Negationen, die weder geistig noch sinnlich vorhanden sind, zu konstruieren oder zu deduzieren, d.h. alles aus nichts zu erschaffen. Das gilt für die echte Gravüre, und je reiner sie ihr Ziel erreicht – d.h. ohne Psychologismus, ohne Sinnlichkeit – ,um so deutlicher manifestiert sie sich als perfekte Gravüre. Dagegen gibt es in der Gravüre, die in der Atmosphäre des Katholizismus entstand, stets den Versuch, sich zwischen >JA< und >NEIN< durchzulavieren, indem sinnliche Elemente eingebracht werden. Insofern bin ich gerne bereit eine innere Verwandtschaft der echten Gravüre mit dem inneren Wesen des Protestantismus anzuerkennen.

Ich wiederhole, es gibt einen inneren Parallelismus zwischen dem Verstand, der im Protestantismus vorherrscht, und der Linearität der Darstellungsmittel der Gravüre, genauso wie es einen inneren Parallelismus zwischen der im Katholizismus kultivierten >Einbildungskraft< (in der asketischen Terminologie) und dem fetten Pinselstrich bzw.- fleck in der Ölmalerei gibt  … Die Gravüre ist, ich wiederhole es, die Neuschöpfung eines Bildes aus Elementen, die ganz anders sind, als das, was das Bild in der sinnlichen Wahrnehmung ausmacht ,- und zwar so, dass das Bild durch und durch rational verständlich wird ….                             

 

(aus: Pavel Florenskij „Die Ikonostase – Urbild und Grenzerlebnis im revolutionären Russland“)

 

 

Die Gottesmutter

Die hohe Linearität und Formelhaftigkeit, das Zeichenhafte und Spröde, das der Ikone anhaftet, die Flächenhaftigkeit, unterstützt durch den Goldgrund, in dem sich das Ewige manifestiert und eine Sehnsucht dafür zu entwickeln, was sich hinter der Maske, der Formel verbirgt – das erregte mich geradezu. Ich ergriff das Schmittmesser, um die Gottesmuttertypen in den vorgegebenen von mir bewusst überlagerten Liniensystemen wie Schablonen zu begreifen und im geometrischen Spiel der Bewegungen auf das Papier zu drucken.   

Die Gottesmütter sind vielfältig und haben alle ihre eigenen Legenden und Heilsversprechen.

Mir war es wichtig, den platonisch-mathematischen Ansatz aufzugreifen und zu verdeutlichen, dass die Ikone wie ein Schlüsselloch, ein „Fenster in die Ewigkeit“ ist.  Vom Beter erfordert das eine ungeheure emotionale Kraft und Phantasie, um durch die Ästhetik des Zeichhaften hindurchzudringen.                                                                                                              Über das  Abbild einer Frau, die ein Kind geboren hat oder die unter dem Kreuz steht und es hergeben muss, zum Urbild in eine andere Wirklichkeit aufzubrechen. Die Ikone ist kein eigenständiges Bild, sondern sie ist der Heilige selbst. Das ist genauso schwer zu verstehen, wie die Transsubstantiation beim Sakrament des Mahles, die sich dem Verstand und dem rationalen Denken völlig entzieht.

Das Prinzip der Wechselwirkung zwischen ausgesparter Fläche, auf der das weiße Liniengefüge des Abbildes nur zu ahnen ist (Urbild – negativ – >nein<) und der farbigen Figur (Abbild – positiv – >ja<) bestimmt meinen gesamten Ikonen-Zyklus.

Mit den Gottesmuttertypen Hodegetria, Tricheirousa  und der Orantin habe ich begonnen. Dabei ist das Spiel der stilisierten Handformen und Handhaltungen zwischen Mutter und Kind mehr als beeindruckend und bezeichnend. Ich habe es in meinen Bildern bei weitem nicht vordergründig genug thematisiert bzw. ausgereizt, da ich zu sehr  mit dem Einstieg in die gesamte ambivalente Problematik beschäftigt war. Hier wäre es sogar sinnvoll, den Faden später noch einmal aufzugreifen und das Beziehungsgefüge der Mutter-Gottes-Hände zu thematisieren.

Technisch herangetastet und den Dialog zwischen dem Weißlinienspiel des ausgesparten oder gefüllten Bildmotivs und dem Gold-Asist-Teppich, der dieses umschreibt, ausgelotet, greife ich zunehmend ikonologisch geladene Szenen und Heilige auf, die ich in Mimik oder Gestik in Zusammenhang mit meinem eigenen Lebensumfeld verstehen kann. 

 

 

Der Heilige Franziskus

Die Ostkirche kennt die glühende Verehrung für den Heiligen Nikolaus. Bewusst verlasse ich hier den Kanon und wähle den Heiligen Franziskus. Franziskus ist durch seinen Sonnengesang, die legendäre Vogelpredigt und seine Nähe zur Schöpfung als Heiliger der Westkirche den Menschen bestens vertraut. Die Sehnsucht nach dem Ewigen, nach innerer Ruhe, kann sich am ehesten in der Verwobenheit mit der Natur entfalten. In der alten zerfallenen Fabrikruine hinter dem Haus, die beispielhaft für die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland ist, setzt sich die Natur durch und sucht sich ihren Weg. Alles ist überwuchert und wie verwunschen zugewachsen.  Ganz im Sinne des Naturbegriffs von Novalis, hier: in der Novalisstraße 13, wo seit über zwanzig Jahren mein Zuhause ist und mein Atelier.  Aus dem Mauerwerk sprießen die Birken und Pappeln. Zahlreiche Vogelarten nisten inzwischen. Es liegt nahe, mit dem Heiligen Franziskus die Hände als Orantin zu erheben. In der besonderen Stille des Winters – das Haus ist immer noch nicht bewohnt und die Vögel kommen in Scharen ans Fenster, um Korn zu picken – wird die Beziehung zur Kreatur besonders intensiv. Es macht sich Hoffnung breit, so dass auch das „nichtschlafende Auge Gottes“ als Ikonen-Motiv seinen Platz in diesem verwilderten Paradies für Vögel, Katzen und Marder findet. Hoffnung, die auch mich selbst weiterblicken lässt.

Das Pendant zur Vogelpredigt ist die Meditation des Heiligen Franziskus mit den Fischen inmitten der vertrauten Saale-Unstrut-Landschaft.

 

Die Heilige Dreifaltigkeit

Die Troica, oder auch Heilige Dreifaltigkeit im Ikonentypus genannt, geht auf den Besuch der drei Männer bei Abraham in Mamre zurück. Mir ist diese alttestamentliche Perikope bestens vertraut. Sie war Bestandteil meiner Abschlussarbeit. Ich hatte einst diesen Text von Gen 18,1-16 ausgewählt, um die Grundlagen und Ziele  der Verdeutschung der Schrift bei Martin Buber und Franz Rosenzweig im Vergleich zu Martin Luther zu zeigen. Die abendländische Kunstgeschichte kennt zahlreiche Darstellungen dieser Szene. Ich habe mich im Zusammenhang mit dieser Arbeit 1994 zu einer eigen Bildlösung inspirieren lassen und greife das Thema nun erneut in Bezug zu den Ikonen wieder auf. In der Ostkirche stehen die drei Männer, die in der Kunst später als Engel dargestellt werden, für die Dreifaltigkeit, die der Ikonostase oben ansteht. Sie erscheinen Abraham im Hain von Mamre, oder wie Buber und Rosenzweig übersetzen: an den Steineichen Mamres.  Das kann nur ein Ort sein, an dem alte Bäume stehen, Steineichen, die tief verwurzelt sind und ausreichend Schatten spenden können. Ein Ort mit einer langen vertrauten Geschichte.                           Inmitten des Hofes meines Elternhauses steht eine alte Linde, unter der diese Gottesboten mit ihrem verheißungsvollen Auftrag Platz nehmen dürfen – als Urbilder und Abbilder, in den jeweils verschiedenen möglichen Beziehungskonstellationen, als Serie gedruckt. Einmal sind alle drei zu Gast, dann nur der mittlere mit dem links außen im Gespräch, ein anderes mal mit seinem rechten Nachbarn, oder er hat sich entzogen und lässt die beiden anderen miteinander in Beziehung treten. Und so fordert dieses Wechselgespräch der Engel unter den weit ausladenden Ästen der alten, dank Schubert oft besungenen Linde, immer wieder meinen suchenden Blick neu heraus und zieht mich mit in den Gesprächskreis hinein.

Es sind die Engel des großen Ikonenmalers Andrej Rubljow (1360-1430), die hier als Vorwurf gedient haben.

          

Die Auferstehung  

Der Prophet Elia, der als Strafgericht Gottes gegen die Errichtung eines Baal-Tempels eine Dürreperiode ankündigt, ist in der orthodoxen Kirche bis heute sehr beliebt und gilt als Patron der Ernte. Er löst mit seiner feurigen Himmelfahrt den heidnischen „Donnerschleuderer“ Perun ab. In der traditionellen Ikonenmalerei steht die Bearbeitung des Themas im Vordergrund. Das irdische Umfeld ist meist zweitrangig und wird gestalterisch schwächer behandelt. Wie bei allen anderen ikonografischen Szenen ist mir aber auch bei der „feurigen Himmelfahrt des Elia“ der Bezug zur Umgebung wichtig. Es sind die goldgelben Gerstefelder meiner Heimat, über die der Prophet mit seinem Viergespann hinwegfegt, um leibliche Aufnahme im Himmel zu erfahren.

 

Zum einen hat das irdische Lebensumfeld, in dem ich aufgewachsen bin und meine äußeren Bindungen erfahren habe, einzelne Bildmotive genährt. Zum anderen sind es aber auch die inneren seelischen Bindung zu mir nahe stehenden Menschen, mit denen ich seit meiner Kindheit verwurzelt bin. Leider habe ich viele davon schon verloren.                                       

Das Motiv der Auferstehung wird thematisiert durch die Osterikone der Ostkirche „Die myrontragenden Frauen am Grab“ und durch die „Auferweckung des Lazarus“.  Ich greife diese Ikonentypen schweren Herzens auf, wickle den Lazarus in einem sich scheinbar endlos überschneidenden Geflecht von Linien und Bändern immer wieder so oft aus, dass ich ihn nicht vergessen kann und blicke mit den mutigen Frauen am Ostermorgen in das kosmische Licht, in dem sich im Bild die Form des gewaltigen Grabsteins in der Sphäre des Goldtones auflöst.       

 

    

Christina Simon